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#1

Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 08.08.2012 14:04
von WSW • 1.034 Beiträge

Hallo!

Wie von Christine bereits vermeldet, war ich nun eine Woche in Kärnten und in der nordwestlichen Gardasee-Region unterwegs.
Ich wollte eigentlich ursprünglich hier keinen großen Exkursionsbericht verfassen, weil ich ja keine aufregenden, neuen Entdeckungen vor hatte, sondern weil mich persönlich einige spezielle Fragen bei den südalpinen Heuschrecken interessierten. Einiges kam dann ein wenig anders und daher jetzt doch ein Bericht, zumindest mal einen Teil 1, mehr vertragen meine Augen am PC nicht mehr...

Also ich bin am 31. Juli mit einem größeren Teil meiner Familie in den Süden gestartet. Der Zufall wollte es so, dass ich eine Klo-Pause just so legte, dass ich dort stehen blieb, wo dem Günther seine Lieblingstiere hausen . Ich habe mit Sandalen nur 3 Minuten gesucht, dann wurde ich bereits fündig und stand sozusagen bereits fast auf dem Tier, das kurz vor einer Häutung stand. Ein eher düster gefärbtes Männchen:



Anschließend ging´s gleich mal rauf auf den Seebergsattel, wo ich einige Micropodisma salamandra - meine 99. Art - , einige Stauroderus scalaris, aber keine Poecilimon ornatus entdecken konnte. Also keine 100er-Feier vorerst, Bilder entfallen auch, denn ich war später noch einmal oben...

Wir fuhren dann weiter zum Wörthersee, wo uns Christine dankenswerterweise ein halbwegs erschwingliches Quartier organisiert hatte und wo ich meine Familie sozusagen beim Badestrand "abgeben" konnte .

Am nächsten Tag fuhr ich erst mal ins Bärental, weil ich mir dort ein paar interessante Arten noch einmal genauer ansehen wollte. Die Auffahrt bis zum letzten Parkplatz ist mit neuwertigen Autos ohne Allradantrieb nicht unbedingt zu empfehlen, führt aber direkt zu einem der größten Schuttströme der österreichischen Karawanken. Den Aufstieg auf den Kosiak habe ich mir heuer geschenkt, sondern bin - 3 Wochen früher als letztes Jahr - sofort auf den Schuttstrom.

Hier einmal das Habitat von oben - da muss man sich durch die nackten Blockfelder der größeren Steine unten mal heraufkämpfen, um dann eines der wohl größten Vorkommen Österreichs von Chorthippus alticola rammei und Antaxius difformis erleben zu können, mit Blick hinaus aufs Bärental.



Nach oben geht´s übrigens in mehrfacher Länge so weiter. Also der rammei ist hier sehr zahlreich, wenn auch auf Grund des sehr nährstoffarmen Habitats locker verteilt, vertreten. Die Männchen finden sich hier zu Rufergruppen zusammen, sind sehr gesangsfreudig und animieren sich gegenseitig zu Chorgesängen. Zwischendurch werden Weibchen angebalzt oder begegnende Rivalen mit entsprechenden abgehackten Kurzgesängen beeindruckt. Ich habe viele Bild- und Tonaufnahmen gemacht, aber es ist in dem lockeren Geröll sehr schwierig, gut heranzukommen. Nachgebende Steine und Windstöße sorgen immer wieder für Störgeräusche.

Der rammei hat doch deutlich längere Verse als der parallelus, kann also eigentlich weder optisch noch akustisch mit einem parallelus verwechselt werden. Fast alle Männchen sehen so aus wie die nachfolgend gezeigten, nämlich in der Grundfarbe mattgrün mit honiggelben Schienen und ebnso getönten Hinterschenkeln. Die winklig geknickten Halsschildseitenkiele sind jeweils dunkel gesäumt. Manche Exemplare gehen leicht ins gelbliche oder bräunliche. Die Weibchen sind etwas variabler gefärbt, ebenfalls mit gelblichen Schienen.



Den hab ich eigentlich fast genial erwischt, leider sah ich dann zu Hause, dass ihm einige Tarsenglieder am mittleren Bein fehlen. Trotzdem kann man auch bei ihm sehr schön die Flügellänge beurteilen (wird wichtig für Teil 3 )



Und sogar eine Kopula konnte ich diesmal erwischen, man beachte besonders beim Weibchen die Flügellänge!



Nun zu Antaxius difformis. Die Tiere waren diesmal noch sehr frisch, waren mit dem US-Detektor zahlreich zu hören und mir ist es gelungen, einzelne aus den Pestwurzfluren und Gebüschen (vor allem Krainer Kreuzdorn) zu treiben. Fotografieren ist dann wieder eine andere Sache - die Viecher springen wie Tischtennisbälle weiter zum nächsten Versteck. Mit Geduld geht es aber. Das Weibchen war noch extrem frisch und daher mit einem schönen Grünschiller überlaufen, der besonders am Hinterrand des Halsschildseitenlappen erkennbar ist.





Abschließend noch eine dieser Miramella´s, die wir letztes Jahr als cf. irena abgelegt haben, aber was weiß man? Ich hab sicherheitshalber 1 Männchen gesammelt, das hoffentlich in Alkohol zu Toni wandern wird.
Übrigens war es sehr schwer, Bilder von Heuschrecken zu fotografieren, die nicht von diesen roten Milben gepiesackt wurden.



Nun folgte die gefürchtete Talfahrt (bitte kein Gegenverkehr wenigstens im bachbettartigen, einspurigen oberen Teil ) und ich hatte ursprünglich vor, nun einen neuen Quadranten für rammei zu machen. Aber die Zeit war leider schon arg vorangeschritten, die Anmarschwege zu den Schuttströmen in den Karawnken sind normalerweise elendslang und die Erfolgsaussichten ungewiss. Ich hab letztes Jahr eh schon 2 neue Quadranten im Bärental gemacht, also muss sich da wohl jetzt jemand aus Kärnten anstrengen...

Ich bin daher nachmittags nach Oberschütt gedüst und schnurstracks zu dem mir nun wohlbekannten eisentrauti-Platz an der Forststraße zur Kranzwand marschiert. Natürlich waren wieder alle der aus dem letzten Jahr ebenso wohlbekannten Arten vertreten, zusätzlich konnte ich auch 2 Tetrix kraussi nachweisen, fast schon überraschend bei der Hitze. Zahlreiche Chorthippus eisentrauti waren zugegen und brachten ebenso wie der rammei am Vormittag ihre Gruppengesänge, die ich natürlich besonders beachtete und auch aufnahm. Ja, ich kann die Befunde der Schweizer Kollegen bestätigen. Diese nördlich gelegene Population bringt sehr kurze Strophen, die im Durchschnitt nur 3 Verse beinhaltet, im gesamten sind 2-5 Verse möglich. Allerdings klingt es wirklich recht metallisch und der Strophenaufbau ist anders als bei biguttulus - die Verse werden zumeist mit Fortdauer der Strophe geringfügig länger, während ja bei biguttulus der erste Vers deutlich länger ist.
Natürlich sind auch Färbung, Größe und Subcostalfeld zu beachten, sowie die meist ebenfalls leicht orange Färbung der Weibchen. Also für mich kein Zweifel an der Artzugehörigkeit.







Leider habe ich beim letzten Bild Mist gebaut, hab nämlich vergessen, die Einstellungen von den Habitataufnahmen zuvor zurückzustellen auf Highspeedblitzen. Somit ist es Tageslicht mit nur 1/200 und Blende 11, geht aber auch so. Jedenfalls wollte ich nun noch einmal ein schönes Männchen suchen und auf eine Felsoberkante treiben (was natürlich geplant ohnehin kaum gelingt) - und da sprang sie dann heraus aus der Vegetation, meine 100ste!

Zuerst hatte ich keine Ahnung, was das ist, hab aber später beim Auto mit dem Bellmann in der Hand angenommen, den Erstnachweis für Pachytrachis striolatus gemacht zu haben! Mit dieser Fehleinschätzung war ich zwar nicht der erste , aber mit Pachytrachis gracilis hatte ich den Hunderter voll! Hab später noch ein 2. Weibchen gesehen, lt. Günther sollen sie in dieser Gegend extrem selten sein, bzw. liegen nur sehr alte Nachweise vor.
Merkwürdig nur, dass die Kärntner Tiere - ganz im Gegensatz zu dem Foto im Bellmann und zu dem braunen Tier, dass Ranners für das Burgenland abbilden - offenbar sehr kontrastreich grün-braun gefärbt sind und in der Zeichnung sehr stark an striolatus erinnern; nur die Legeröhre verweist auf gracilis.



Und zuletzt ein kleiner Ausschnitt aus dem Habitat aller dieser dort vorkommenden Kostbarkeiten:



Das war einmal Teil 1 und nun müssen sich die Augen bis zum nächsten Teil erholen...


Dateianlage:
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#2

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 08.08.2012 17:39
von Christine • 1.229 Beiträge

Hallo Wolfgang!

Schöner Bericht und - natürlich - schöne Fotos, freue mich schon auf die Fortsetzungen!
Deine Miramella habe ich Toni geschickt, für genetische Untersuchungen lässt sie sich nicht mehr verwenden, weil sie nicht sofort in den Alkohol gekommen ist, aber sicher bestimmen wird er sie können. Im Moment ist er aber auch in Kärnten, hat er mir geschrieben.

lg
Christine


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#3

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 08.08.2012 18:34
von Günter Pucher • 692 Beiträge

Hallo Wolfgang!

Superbericht und Gratulation zu Deinem " 100 "- er . Happy grasshopper´s day !

VG S-Günter

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#4

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 08.08.2012 22:16
von hospiton • 2.767 Beiträge

Hallo Wolfgang!

Auch von mir Gratulation zum Hunderter und den - wie immer - tollen Aufnahmen, und seien sie "nur" bei Tageslicht und ohne Highspeedblitz entstanden - alleine mit den abgebildeten Tieren wäre ich evtl. auch schon im 90er Bereich, aber das ist eine andere Geschichte... Bin auch schon gespannt, was da noch nachkommt !

LG

Werner


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#5

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 09.08.2012 08:29
von WSW • 1.034 Beiträge

Guten Morgen!

Ja danke, mir kommt selber vor, dass da ein paar ganz gut gelungene Bilder dabei sind. Und das Tageslichtbüdl hat auch wirklich seine Meriten, denn dadurch, dass der Heuschreck oben am Grat des Steinblocks völlig freigestellt war, wäre es bei Blitz eine "Nachtaufnahme" geworden. Man sieht halt nicht die 20 anderen, von denen ich den Großteil löschen musste, vor allem die Stridulationsbilder, die völlig unscharf wurden .

Also ich hänge jetzt den etwas kürzeren Teil 2 an, denn die Augen erholen sich nach einer Woche Bildschirmfreiheit (Gott sei Dank!) nun wahrscheinlich eh nicht mehr. Da komme ich dann auf 102 Arten. Für Puritaner sind da aber 2 Larven enthalten. Und wenn Toni die Miramella aus dem Bärental als carinthiaca bestimmt, wäre ich dann sogar wieder bei 99 .

Also am Donnerstag, den 2. August, war ich den ganzen Tag mit Christine unterwegs. Wir fuhren zuerst einmal nach Rinkolach, das irgendwo südöstlich von Völkermarkt liegt, also schon ziemlich weit im Osten. Und wir waren da sicherlich nicht mehr sehr weit weg von Pseudopodisma fieberi, wussten aber nicht, wo die genau zu finden wäre. Aber die wird sich ja Günther nun vermutlich holen.

Jedenfalls suchten wir dort einen sonnig-feuchten Bachgraben auf etwa 400msm auf, wo es Odontopodisma schmidtii zu finden geben sollte, und tatsächlich: Nach kurzem Suchen fanden wir etliche von denen, sehr adrett auf diversen Unterlagen in den Hochstauden- und Schlagfluren sitzend. Bei der Bestimmung vertraue ich da ganz Christine (und diese wiederum Toni ).







Erstaunlich in dieser geringen Höhenlage die vielen Podisma pedestris, die sich z.T. ebenfalls auf großen Huflattich-Blättern sonnten.

Und da wir jetzt schon so relativ knapp wiederum am Seeberg dran waren , beschlossen wir, noch einmal raufzufahren, denn für Christine war jedenfalls die Micropodisma drin und ich hoffte doch noch auf Poecilimon ornatus, zumindest mit Gottes - und Günthers telefonischer - Hilfe!

Also M. salamandra fanden wir mit besserer Suche diesmal sogar deutlich häufiger.



Sehr adrettes Viecherl mit den kräftigen Beinen und dem roten Hauch auf den Hinterschenkeln.

Zwischendurch hatten wir weiter oben in Richtung Storschitz bei der Jagdhütte bei voller Sonne sehr schöne Akustik von Stauroderus scalaris (Aufnahme bereits bei Teil 1 angehängt). Ich frag mich nur, wann ich von dem attraktiven Grashüpfer endlich einmal wirklich ein ordentliches Büdl schaff?



Und weiter oben dann, wo entlang der Forststraße an der steilen Böschung nach unten dichte Hochstaudenfluren, vermischt mit jungen Bäumen wuchsen, meinte Christine dann, sie hört etwas. ich hörte nichts, konnte aber dann im Detektor merkwürdige Tack-Geräusche in größeren Abständen vernehmen. Und dann schaffte Christine es sogar, den grünen Heuschreck in dieser gewaltigen pflanzlichen Biomasse zu entdecken!!! Ich bemerkte ihn erst, als er sich bewegte - und war von den Socken! Der ist ja ein Monster, ich hatte mir den viel kleiner vorgestellt Ein gewaltiges Viech, das aussieht wie eine Kreuzung aus Sattelschrecke und Wanstschrecke.

Noch einmal - ohne Christines akribisches Vorgehen und Gehörleistung hätte ich den wohl kaum gefunden. Die anschließende Bergung aus der Böschung durch Brennesseln und brusthohe Vegetation hingegen ist ganz normal, das hab ich bei GRO schon längst gelernt. Ist unbedingt nötig, wenn man ordentliche Bilder machen möchte.

Das Fotografieren von glänzenden grünen Heuschrecken ist wieder eine andere Sache. Ich war mit den geblitzten unzufrieden (zuviel Reflexion, unnatürliche Farbwiedergabe), aber die Tageslichtbilder wurden auch nix, da ich übersehen hatte, dass eine Blendenkorrektur unabsichtliich eingestellt war und somit alles überbelichtet wurde.

Also Bild 1 (ungefähr so hab ich das Tier entdeckt) ist unkorrigiertes Tageslicht (da hat die Kamera die Blendenkorrektur offenbar ignoriert), Bild 2 ist korrigiertes Tageslicht. Angehängt ist auch eine Aufnahme über den Detektor, wo man in Abständen das Tack hört, aber auch die beiden Strauchschrecken-Arten.





Und hier das Labyrinth an Vegetation (Holunder, Himbeere, Greiskraut, Jungbäume) in dem Christine die grasgrüne Heuschrecke quasi als Stecknadel im Heuhaufen fand.



Ich hab es - leider - verabsäumt, sie dabei zu fotografieren, damit man mal sieht, wie konsequentes, zielstrebiges, ehrgeiziges Vorgehen wirklich aussieht. Ich bin da viel zu lax .

Das von Günther empfohlene Bier beim Seebergstüberl gönnten wir uns dann zur Feier des Tages, 20m neben der Staatsgrenze, da konnten wir sogar die Niederungen der Kärntner Politik einmal ausleuchten. Es gab gut gekühltes Stiegl - mmmh. Dafür versäumten wir dann knapp den Chorthippus mollis ignifer - ich werd´s überleben .

Teil3 demnächst!


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zuletzt bearbeitet 09.08.2012 08:33 | nach oben springen

#6

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 09.08.2012 12:19
von Thomas Z-K • 740 Beiträge

Herrlicher Spitzenbeitrag - vielen Dank an Wolfgang!

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#7

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 09.08.2012 15:50
von WSW • 1.034 Beiträge

Okay, bringen wir´s hinter uns - Teil 3, ein Höhepunkt in jeder Hinsicht...

Wir sind also am nächsten Tag über Osttirol und durchs Pustertal rüber zur Brennero-Autobahn (wenn du da fährst, denkst du nur: ein Wahnsinn, dass das nicht mehr zu Österreich gehört... Andernfalls wären wir Raritätenjäger dort viel öfter unterwegs ).

Mein Plan war, nach Malcesine zum Gardasee zu fahren und mit der Gondelbahn dann direkt im Habitat von Pseudoprumna baldensis zu landen. Aber ich war noch nie im Sommer am Gardasee...
Dort kannst du nicht einmal ohne zu zahlen irgendwo stehenbleiben, um nach einem Zimmer auch nur zu fragen. Nach der langen Fahrt genervt, hab ich beschlossen, das Programm zu ändern, um diesem hektischen Chaos einmal zu entkommen. Wir drehten um (schwierig genug) und fuhren über Torbole und Riva ins Ledrotal und zum Passo di Tremalzo. Ein deja-vu, ich war vor vielleicht gut 20 Jahren dort, als Florist.

Wir haben uns oben im Rifugio Garibaldi einquartiert und sind abends noch einmal rauf zum höchsten für PKW erreichbaren Punkt beim Albergo Garda, um noch schnell auf den Spuren Bellmanns zu wandeln. Und wirklich, gleich neben dem Parkplatz entdeckte ich schon die ersten Chorthippus alticola alticola, die - ganz im Gegensatz zu Ch. a. rammei in allen Farben spielten.

Am nächsten Vormittag waren wir bereits wieder dort oben, verbrachten den ganzen Tag mit Heuschreckensuchen und einer Wanderung auf der gesperrten alten Schotterpiste zum eigentlichen Passo, den man in einem engen Tunnel durchschreitet.

Ich stellte fest, dass der alticola dort oben recht häufig zu finden und eine dominante Art ist. später fand ich heraus, dass er zumindest in der ganzen weiteren Umgebung eine ausgesprochene Massenart ist, mit Abstand die häufigste Heuschrecke!

Er lebt zusammen mit Omocestus viridulus auf höheren Almweiden, weiter unten mit zahlreichen Decticus verrucivorus ebenfalls auf kurzgefressenen Almweiden, gemeinsam mit Stenobothrus rubicundulus und Euthystira brachyptera in Schneeheide-Gesellschaften, ja schließlich war er auch am spärlich bewachsenen schottrigen Parkplatz und auf den rasigen Grünflächen bis 5m vor dem Haustor des Rifugio zu finden! Kurz gesagt, ein Ubiquist in höheren Lagen, ganz im Gegensatz zu seinem Pendant in den Karawanken.

Hier einmal ein paar Färbungstypen, zunächst die bunteste - leuchtend grün und orange, auffallend auch die schwärzlichen Fühler:







Bei den Weibchen gibt es natürlich ebenfalls eine Vielzahl von Farbvarianten, ich zeige hier eine grüne, die veranschaulichen soll, wie schwierig die Unterscheidung zu Chorthippus parallelus sein könnte - wenn es ihn hier überhaupt gäbe.



Aber sowohl bei den Weibchen, als auch bei den Männchen fällt auf: Die Flügel sind gegenüber rammei eindeutig kürzer!

Und noch einen 4. Unterschied gibt es neben Ökologie, Färbung und Flügellänge: der Gesang. Von der Tongebung hört er sich zwar gleich an, doch sind die Strophen im Durchschnitt doppelt so lang, bei der angehängten Aufnahme eines Männchens, das beharrlich ein Weibchen ansingt, sogar um ein Mehrfaches!

Nur - man hört den Gesang in Relation zu den Massen an Individuen äußerst selten. Spontangesang oder gar Wechselgesänge kommen kaum vor im Gegensatz zu den Usancen beim rammei. Eher kann man Rivalengesänge oder leise Werbegesänge vor den Weibchen beobachten. Es war nicht einfach, gute Aufnahmen vom Gesang zu erhalten.

Somit unterscheidet sich für mich der alticola vom rammei fast deutlicher als biguttulus von eisentrauti. Da würde es halt dann sehr auf die ziemlich unbekannten Übergangsformen ankommen...

Insgesamt ist das Gebiet bezüglich Heuschrecken aber eigentlich recht artenarm. Neben den genannten habe ich zwischen 1600 und 1700m noch 2 weitere Arten gefunden: Eine recht helle Miramella, die ich mir nicht bestimmen getraue, die aber vll. Miramella formosanta ist??



Und 2M und 1W von Leptophyes boscii:



Blick zum eigentlichen Tremalzopass:



Als wir dann abends, nachdem wir noch unten bei der Alm einen italienischen Nationalpark-Bergkäse gekauft hatten, als eine der letzten ins Auto stiegen und zum Rifugio fahren wollten, erlebten wir die böse Überraschung: Mein neuer, 1 Monat alter Wagen ließ sich nicht mehr starten, der Bordcomputer lieferte Fehlermeldungen und gab schließlich ganz auf. Keine Details hier, der Wagen musste am nächsten Tag - Sonntag - abgeschleppt werden, wir zu Fuß ins Rifugio. Statt geplanter 2 mussten wir dort 4 Nächte verbringen und am Ende mussten wir etliche 100€ in die Hand nehmen, um überhaupt von dort wieder wegzukommen. Wenn man glaubt, ein ÖAMTC-Schutzbrief ist dort oben eine beruhigende Hilfe, dann hat man sich jedenfalls ziemlich getäuscht...

Jedenfalls "gewann" ich dadurch weitere Exkursionsmöglichkeiten und dabei lachte mich dieser Berg an:



Ihn erreichte man durch dichten Bergfichtenwald in einer halben Stunde zur Boca di casset. Dort wurde man die autofahrenden Italiener bei einem in den Übergang gesprengten Parkplatz los. Interessanterweise hörte ich aber genau dort Chorthippus eisentrauti und konnte so auch bei diesem die heimischen Populationen vergleichen. Fazit: die Viecher sehen ziemlich gleich aus, tatsächlich bringen diese Tiere aber etwas mehr Verse pro Strophe (3-7 statt 2-5). Hörprobe attached.





Flügel Chorthippus eisentrauti vom Dobratsch:



Flügel Ch. eisentrauti von der Boca di Casset:



Und Flügel eines Ch. biguttulus von gestern aus meinem Garten:



Beim biguttulus wird das Subcostalfeld nach einer mittigen "Wampn" zum Ende wieder etwas schmäler - ein Merkmal für Kenner mit Lupe...

Von der Boca setzt man nach links in einen verwachsenen Fahrweg fort. Dieser dürfte ein Kriegsrelikt sein, man passiert zahlreiche verwachsene Stellungen und auch Kavernen, wo sich die Soldaten im 1. Weltkrieg verschanzt haben. Damit kommt man in die Flanke des zuvor gezeigten Berges, quert diesen komplett durch und gelang am Westende auf den Gipfel. Eine fantastische Wanderung, bei der man keiner Menschenseele begegnet.

Hier dürften neben Chorthippus alticola 100 000e Stenobothrus rubicundulus hausen. Die Art ist an sich schon eine der tollsten Feldheuschrecken, selbst mit leichten Flügelschäden:



Aber hier ist die Luft bei Sonnenschein erfüllt von dem Spontanschnarren der zahlreichen Männchen! ich habe mich stundenlang an einer sonnigen, sandigen Stelle des Weges hingesetzt und das Verhalten der Tiere beobachtet. Faszinierend vor allem, wenn bei 2 Männchen der Adrenalinspiegel so hoch geht, dass sie sich gegenseitig schnarrend anspringen, zwischendurch am Boden weiterschnarren, bis sie nicht mehr können. Mehrere weitere stimmen in das Geschnarre mit ein - und den Weibchen ist es eigentlich ziemlich wurscht, die hatten sich alle schon einmal gepaart. Nur 1 Kopulation fand ich weiter oben.

Das zu fotografieren ist natürlich ziemlich schwierig, da man sich nicht nahe genug anschleichen kann. Da hilft dann die 7D, mit der man noch durch starke Crops zum Erfolg kommt. Bei mehr Zeit ginge es natürlich besser und überhaupt müsste man das filmen.





Nach Passieren einiger Felsüberhänge kam ich in Gipfelnähe bei 1600m überraschend noch zu einer Platycleis-Population, die Tiere sahen aus wie P. grisea, waren aber extrem langflügelig und flugtüchtig. Im letzten Moment vorm Umdrehen gelang mir noch diese Aufnahme:



Zuletzt noch ein Blick auf das gastfreundliche Rifugio mit dem Höhen-Grashüpfer-Vorplatz, kann man für alticola-Freunde als Unterkunft empfehlen:



Wenn mir der Antonio mit seinem Hütten-Festnetz-Telefon nicht aus der Patsche geholfen hätte, wären wir jetzt schon Italiener mitsamt dem ÖAMTC.

Mir hat es dann gereicht und ich bin ohne die Pseudoprumna nach Hause. Aber vll. später mal, die Pasubio-Gebirgsschrecke wartet ja auch noch, und gar erst die Endemiten weiter drüben in Savoyen und Piemont, vielleicht einmal als Gruppe?

Das war´s für´s erste, aber ein Teil 4 mit den berühmten Gardasee-Endemiten-off-topics wäre auch noch möglich.

VG Wolfgang


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#8

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 09.08.2012 18:02
von Christine • 1.229 Beiträge

Hallo Wolfgang,

die Tonaufnahmen sind der Hammer, der italienische alticola klingt ja, als ob die Platte hängen geblieben wäre!

Und mir kommen die Verse vom italienischen eisentraut kürzer vor als von dem vom Dobratsch, da käme man weniger in Gefahr, ihn mit biguttulus zu verwechseln. Ganz tolle Vergleichsbilder von den Flügeln!
Mir scheint, du hast da schon wieder zwei Paper fertig, fehlen nur noch ein paar Grafiken von den Gesängen!

Interessant ist auch die Tonaufnahme vom rubicundulus, das habe ich so nicht miterlebt, ich hab immer nur das Fliegegeräusch gehört.
Den Stauroderus scalaris hab ich auch aufgenommen:
https://www.youtube.com/watch?v=MNLTosJ5oEo
Das ewig lange Herumstottern, bevor es losgeht, kannte ich vorher eigentlich nicht, könnte das auch eine Eigenart von dieser Population sein?

Dass ich Poecilimon ornatus hören konnte, verdanke ich vermutlich der Diskotheken-Antipathie in meiner Jugend, damals empfand ich es als Makel, dass ich es dort keine Viertelstunde aushielt, und heute macht es sich bezahlt!

lg
Christine


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#9

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 10.08.2012 08:00
von WSW • 1.034 Beiträge

Zitat von Christine im Beitrag #8

Mir scheint, du hast da schon wieder zwei Paper fertig, fehlen nur noch ein paar Grafiken von den Gesängen!


Zugegeben hab ich schon dran gedacht, speziell auch nach diesem unerwartet großen Aufwand, dass es ein Paper wert wäre. Denn über die beiden alticolas ist ja wirklich sehr wenig bekannt, genau gesagt, eigentlich so gut wie nichts. Aber dazu müsste ich erst mal die Arbeit von Nadig aus 1981 lesen, die kenn ich natürlich selber nicht. Mal schauen, ob Günther mir die ausheben kann.
Man findet nämlich über Chorthippus alticola alticola über Google sage und schreibe ein paar Weibchen-Bilder aus 2008 in einem italienischen Insektenforum, die dort von einem Moderator als neue Art für das Forum bejubelt werden. Die sind in einem Gebiet noch weiter westlich anschließend gemacht worden.

Ehrlich gesagt zweifle ich persönlich sämtliche Angaben für alticola aus den Nord- und Zentralalpen weiterhin massiv an, der passt dort ökologisch und zoogeografisch einfach nicht hin. Das vorhandene Bildmaterial von dort zeigt eindeutige parallelus. Ich müsste wahrscheinlich den einen oder anderen angegebenen Fundort selber noch einmal überprüfen.

Zitat von Christine im Beitrag #8

Interessant ist auch die Tonaufnahme vom rubicundulus, das habe ich so nicht miterlebt, ich hab immer nur das Fliegegeräusch gehört.

Kein Wunder bei den wenigen Exemplaren am Dobratsch. Ich hab dort nur 3 Weibchen gesehen. Vll. waren auch noch einige Männchen abseits in der Botanik, da hab ich mich aber wegen der Sandvipern nicht hingetraut .

Zitat von Christine im Beitrag #8

Den Stauroderus scalaris hab ich auch aufgenommen:
https://www.youtube.com/watch?v=MNLTosJ5oEo
Das ewig lange Herumstottern, bevor es losgeht, kannte ich vorher eigentlich nicht, könnte das auch eine Eigenart von dieser Population sein?

Glaub ich nicht, das gehört einfach zu den Variationsmöglichkeiten im Gesang. Hab vom rubicundulus eine Aufnahme, wo das Männchen etwa 2 min leise vor sich hinfiepst, bevor es plötzlich zu einem Spontanschnarren ansetzt.

Zitat von Christine im Beitrag #8

Dass ich Poecilimon ornatus hören konnte, verdanke ich vermutlich der Diskotheken-Antipathie in meiner Jugend, damals empfand ich es als Makel, dass ich es dort keine Viertelstunde aushielt, und heute macht es sich bezahlt!


Da müsste ich es auch hören, denn Discos hat´s zu meiner Zeit vll. am Wörthersee schon gegeben, bei mir zu Hause sicher nicht

VG Wolfgang


zuletzt bearbeitet 10.08.2012 08:08 | nach oben springen

#10

RE: Heuschrecken in den Südalpen Kärntens und Italiens

in Exkursionsberichte 10.08.2012 08:28
von Maria Z • 1.534 Beiträge

Hallo Wolfgang,

dass das wundervolle und spitzen-Beiträge+Bilder sind, wurde ja schon gesagt und dem schliesse ich mich an;

meine Favoriten hier sind die Bilder v. St. rubicundulus mit den gespreizten Flügeln....und dieses ROT !!!;
soetwas ist mit meiner Kamera natürlich nicht möglich, es macht Freude, das anzusehen.
Ich hab zwar schon einige gefunden (Geländ u. Kienberg), da gibts halt jeweils nur wenige Ind., muss ein spez. Erlebnis sein, so VELE davon zu sehen.

Danke und viele Grüsse
Maria

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