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#1

Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 10:27
von Oli S • 135 Beiträge

Hallo zusammen,

meine Frau und ich waren gestern bei der Seespitzhütte im Defereggental (Osttirol), wo sich sonnseitig (S-exponiert) zwischen 1900 und 2500 Meter ausgedehnte Bergwiesen befinden. Dort konnten wir eine artenreiche Heuschreckenfauna nachweisen, die u.a. Bohemanella frigida und Anonconotus italoaustriacus in hoher Abundanz beherbergt.

Auf 2400 Meter haben wir zudem auch zahlreich Individuen angetroffen, bei denen wir nicht sicher sind, ob sie noch Chorthippus parallelus oder bereits Ch. alticola (rammei?) sind. Nachfolgend dazu einige Bilder (3 Individuen), wobei v.a. die beiden ersten Bilder aufgrund der winkeligen Halsschildkiele m.E. sehr alticola-verdächtig sind. Was haltet Ihr davon?

Viele Grüße

Oliver

Angefügte Bilder:
IMG_2978.jpg
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zuletzt bearbeitet 01.09.2013 10:32 | nach oben springen

#2

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 11:34
von WSW • 1.034 Beiträge

Servus Oliver!

Immer spannend, soche Bilder zu beurteilen, sowas gefällt mir! Ich bin klar für parallelus.
Zwar sind die Halsschildseitenkiele deutlich geknickt, aber nur einmal. Beim alticola erfolgt dann noch einmal eine typische "Zurückknickung".
Beim Männchen, das auch von der Färbung ganz gut zu parallelus passt, passt zudem der Flügelschnitt (soweit erkennbar) nicht, ist einfach zu spitz.
Die Weibchen wiederum sind tw. zu lang- und spitzflügelig.

Am Gesang kann man übrigens den parallelus sicher abzweigen, zumindest, wenn man die beiden alticola´s einmal singen gehört hat

Nach meinem Gefühl ist alticola ein Südalpen-Tier, das ich in den Zentralalpen (und somit auch in den Nordalpen) einfach nicht erwarte. Probleme bereitet mir da nur mehr diese Hölzl-Angabe aus em Maltatal (wenn ich das richtig im Kopf habe), der sollte den alticola ja eigentlich gekannt haben...

VG Wolfgang

edit: Für weitere Infos: alticola in Kärnten und im Trentino


zuletzt bearbeitet 01.09.2013 11:51 | nach oben springen

#3

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 12:50
von Oli S • 135 Beiträge

Hallo Wolfgang,

danke für deine Antwort und deine Einschätzung.

Ich muss zugeben, dass ich einen echten alticola zuvor noch nicht live gesehen habe, daher fehlt mir Vergleichmaterial. Ich habe aber gesehen, dass es in Osttirol lt. den Arealkarten von Thomas einen Eintrag für alticola gibt, der ebenso aus dem Gebiet der Zentralalpen stammt. Zudem soll die Art ja auch in den Nordalpen vorkommen, wie die im Intenet leicht auffindbare Publikation von Weißmair & Schuster aus dem Dachsteingebiet beweist.

M.E. ist dieses Tier wohl noch unterkartiert bzw. aufgrund der Ähnlichkeit zu parallelus insgesamt wenig bekannt, so dass man über das tatsächliche Areal in Österreich derzeit noch wenig aussagen kann. Meinst du nicht?

Viele Grüße

Oliver

P.S. Danke für den Link zu deinem tollen Beitrag!

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#4

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 13:11
von WSW • 1.034 Beiträge

Das Bildmaterial bei den im Internet leicht auffindbaren Arbeiten (hab seinerzeit 2 davon gefunden) zeigt eindeutig Chorthippus parallelus, darin war ich mir u.a. auch mit Toni einig. Die Publikation von Leo S. (das könnte ev. dieser Osttiroler Fundpunkt sein?) enthält kein Bildmaterial, doch hat Illich dort erfolglos nachgesucht, wenn ich mich richtig erinnere. Ich vermute sehr stark, dass dort auch Höhenformen von parallelus unterwegs waren.

Die einzigen alticola-Bilder außer den meinen (und in der Folge jenen von Christine), die ich im Netz aufgetrieben habe, sind jene von Toni, die bei den Artenbildern auf orthoptera.at zu sehen sind.

Ich gehe in dieser Sache mit Nadig konform, der alticola als Südalpen-Art beschreibt, die dort ein schmales langgestrecktes Arealband besiedelt und glaube vorläufig, dass alticola rammei als hochspezialisierte Art in Österreich nur recht wenige Schutthalden in den Karawanken besiedelt (die Hauptverantwortung für die Art liegt bei den Slowenen), während alticola alticola in Österreich mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht vorkommt.
Nicht so sicher bin ich mir, ob die beiden Formen wirklich nur Unterarten einer polytypischen Art sind, dafür habe ich einfach zu viele Unterschiede gesehen, wobei Nadig auf Gesang und eigentlich auch Ökologie nicht eingegangen ist. Dazu hätte ich ursprünglich ein Paper angepeilt, aber erstens fehlt mir dafür ein Besuch bei den "Übergangsformen" in Friaul und 2. lässt es sich schwer beweisen, dass die Zentral- und Nordalpen-alticolas allesamt keine sind, da könnte man sich wohl leicht die Finger verbrennen.

Andererseits besteht natürlich die Gefahr, dass die sicherlich parallelushöhenformenreiche alticola-Verbreitungskarte letztlich so in einen Heuschreckenatlas kommt.....

Was aber andererseits nicht mein Problem sein sollte

VG Wolfgang

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#5

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 20:06
von Oli S • 135 Beiträge

Danke dir, Wolfgang, für die erläuternden Infos!

Ich möchte dir gut und gerne glauben und das klingt alles sehr plausibel . Dennoch denke ich, dass die publizierte Angabe von Weißmair & Schuster, die ja in der "Szene" auch nicht "irgendwer" sind, und sich auch wiederum Experten für die Bestätigung bedient haben, nicht so einfach zu übergehen ist. Auch wäre dann der vom Netz downzuloadende Bestimmungsschlüssel für Heuschreckenfauna der Südalpen von Grosser et al. stark zu hinterfragen, führt er doch allein aufgrund des Merkmals der winkeligen Halsschildkiele zu Ch. alticola. Zudem wäre dann noch anmerken, dass dann die derzeitige Arealkarte von Thomas Z-K. für alticola überarbeitsbedürftig wäre.

Bei den Pflanzenarten gibt es übrigens etliche Beispiele für Nord-Südalpen-Disjunktionen, wie z.B. Horminum pyrenaicum, eine Südalpenpflanze, die aber auch in den Nordalpen (z.B. Hochkönig) auftritt; oder sogar Potentilla nitida (Dolomiten-Fingerkraut), das jüngst (heuer!) ebenso am Hochkönig gefunden wurde. Warum sollte es bei einigen Heuschrecken der Südalpen anders sein? Auch bei ihnen könnten diese tw. eiszeitlich bedingten Arealphänomene, wie z.B. auch im Salzburger Heuschreckenbuch von Illich et al. erwähnt, auftreten ...

Wenn es eine Hochlagenform von parallelus gibt, die auch morphologisch vom Typus abweicht, dann sollte m.E. anhand einer eigenen, systematischen Studie geklärt werden, wie sich diese Formen von alticola unterscheiden und dann daraus deren Areal festgemacht werden. Das wäre aber wohl eine größere Sache, die Experten zu bearbeiten haben ...

Um das Thema aber nun meinerseits abzuschließen, gebe ich noch ein paar Bilder der gestrigen Exkursion hinzu, die v.a. verschiedene Paarungen bei Bohemanella frigida sowie Männchen und Weibchen von Anonconotus italoaustriacus zeigen - ich hoffe, sie gefallen ein wenig.

Beste Grüße aus Osttirol

Oliver

Angefügte Bilder:
IMG_2956.jpg
IMG_2973.jpg
IMG_3024.jpg
IMG_3028.jpg
IMG_3038.jpg

zuletzt bearbeitet 01.09.2013 20:14 | nach oben springen

#6

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 21:09
von WSW • 1.034 Beiträge

Guter Abschluss, diese Bilder, vor allem von Anonconotus italoaustriacus, der auch noch immer auf meiner must have-Liste firmiert.

Aber ich möchte dennoch noch einige deiner Aussagen kommentieren. Vielleicht ist dir meine floristische Vergangenheit bekannt und daher weiß ich auch über diese Disjunktionen Bescheid - kann mich noch gut erinnern, wie mir mein Schulfreund Wolfgang L. vor Jahrzehnten das Vorkommen von Horminum im Steinernen Meer erklärt hat. Und dann gibt´s ja noch diesen Dolomitenmannsschild Androsace hausmannii fast punktgenau im Fundgebiet des publizierten "alticola" an der südlichen Landesgrenze von OÖ, den ich selber dort schon fruchtend sehen durfte.

Daher hätte ich ja diese überraschenden Funde sofort geglaubt und war übrigens schon fest entschlossen, einen exakt verorteten Fundort in der Steiermark zu besuchen. Aber Toni Koschuh hat mich damals im persönlichen Gespräch vor dieser körperlichen Investition gewarnt - "das sind alles parallelus". Ich hab mir darauf die verfügbaren Bilder genau angesehen und musste ihm Recht geben.

Mehr noch - ich bin wahrscheinlich der einzige, der sich beide Unterarten von alticola innerhalb weniger Tage an sicheren Vorkommen in situ ausführlichst angesehen und von beiden Gesangsaufnahmen angefertigt hat (im verlinkten Beitrag anzuhören). Vermutlich der Fehler, den viele machen - Sensationsfunde seltener heikler Arten werden publiziert, ohne vorher die Art selber in ihrem eigentlichen Areal kennenzulernen. Im gegenständlichen Fall wurde Herr Kaltenbach zu Rate gezogen, aber der kannte den alticola wohl auch nicht persönlich...

Über die alticola-parallelus-Problematik gibt es hier im Forum bereits viel zu lesen. Viele haben schon geglaubt, einen alticola gefunden zu haben, es waren immer parallelus. Je höher und südlicher parallelus vorkommt, umso farbiger wird er und kann auch ziemlich geknickte Kiele haben. Herausragend waren da diese Grashüpfer aus dem Lesachtal mit den roten Hinterschenkeln, wo auch ich anfangs geglaubt habe, das könnten österreichische alticola alticola sein. Letztlich zeigen aber gewisse Proportionen (kürzere gerundete Flügel mit unregelmäßigerem Geäder beim alticola!) und der Gesang immer klar die Artzugehörigkeit. Mittlerweile denke ich, das Taxon alticola halbwegs sicher im Griff zu haben.

Aber die Restunsicherheit bleibt natürlich (nicht zuletzt dank Hölzel), dass ich falsch liege und doch disjunkte Vorkommen in den Zentralalpen oder anderswo existieren - aber ich glaube nicht wirklich daran .

Den Vorschlag, diese Höhenformen von parallelus (darüber habe ich mal einen illustrierten Beitrag hier geschrieben, müsste man raussuchen, da die Suche-Funktion nicht funktioniert) näher zu untersuchen, den hat ja schon unser Freund Toni vor längerer Zeit geäußert, durchaus möglich, dass da was Interessantes rauskommt. Aber sicher kein alticola . Die beiden Arten haben in Wahrheit nix miteinander zu tun.

Die alticola-Karte kenne ich übrigens und die bereitet mir gewisses Unbehagen, gebe ich zu.So jetzt hab ich dieses Thema ziemlich ausgeleuchtet und bedaure am letzten Ferienabend nun doch, dass ich nicht ins Friaul gefahren bin, um meinen alticola-Horizont noch stärker zu erweitern....

VG Wolfgang

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#7

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 01.09.2013 23:13
von Günther • 2.345 Beiträge

Hallo ihr 2,

eine Info bzgl. des Osttiroler Fundes von Ch. alticola: Der stammt von A. Ranner und E. Karner-Ranner aus dem Jahre 2001, und zwar von der Volkzeinalm im Deferegger Gebirge. Er wurde allerdings mit cf. alticola angegeben.
Schmalzer & Sachslehner waren übrigens in der Reißeckgruppe/Kärnten unterwegs.

In 1970er Jahren wurde die Art von Ingrisch verbreitet am Hochobir nachgewiesen, und zwar in Waldschlägen mit dichter Krautschicht, auf Kuh- und Schafweiden sowie Larven auf einem Waldweg (??). Überhaupt stammen die meisten Funde von alpinen Matten, Weiden, Almen, Zwergstrauchheiden und vielem ähnlichen, Geröllflächen werden eigentlich sonst nie genannt. Dh. entweder ist das Tier recht generalistisch, was seinen Lebensraum anbelangt, oder es hat einfach so gut wie jeder bisher parallelus-Höhenformen gesehen und diese für alticola gehalten...
Ein vermeintlicher alticola von der Saualpe (leg. HMB) liegt sogar in der Sammlung des Naturhist. Museums Wien und ein weiteres in der Sammlung HMB - werd mir die morgen mal anschauen und fotografieren. Das alticola-Virus greift wiedermal um sich...

Wolfgang, hast Du ein Foto, auf denen man die Hinterflügel durchschimmern sieht bzw. weißt Du, ob die parallelus-lang sind?

LG,
Günther


zuletzt bearbeitet 02.09.2013 00:02 | nach oben springen

#8

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 02.09.2013 07:08
von WSW • 1.034 Beiträge

Guten Morgen!

Das wäre natürlich auch möglich, dass ich mit meinem Ökologie-Bild falsch liege und rammei viel ubiqistischer ist, als ich bisher annehme.
Meine Annahme stützt sich 1. auf das Fundgebiet von Toni, das ich selber auf GE schon als potentiell geeignetes Fundgebiet herausgesucht hatte.
2. natürlich auf die Situation im Bärental
3. auf die Situation im Kosiak-Südhang, wo sich die Art weder auf scharf beweideten Hängen noch im höher gelegenen hochgrasigen Teil finden ließ, mit einer kleinen Population aber just entlang einer Geröllrinne
Und 4. auf die Tatsache, dass noch niemand bisher einen eindeutigen alticola aus anderen Lebensräumen oder Gebieten vorlegen konnte.

Hingegen gibt Nadig die Art von der Koschuta-Südseite als häufig an und dort stehen ja jede Menge an Geröllrinnen etc. zur Verfügung wie überhaupt in den slowenischen Alpen. Die Fundsituation am Hochobir wäre auch einmal interessant - niemand schaut sich den an, weil er da als locus classicus sowieso häufig und selbstverständlich ist.

Ja, auf die HMB-Viecher wär ich auch neugierig, das könnte schon viel Klarheit in die Diskussion bringen! Ich glaube nicht, dass auf irgeneiner meiner Aufnahmen die Hinterflügel durchschimmern, da ich immer geschaut habe, nicht ins Gegenlicht zu knipsen. Aber normal braucht man die Hfl für eine sichere Bestimmung nicht. Aber ich bestimme nie Museumsviecher...

VG Wolfgang

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#9

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 02.09.2013 08:23
von Günther • 2.345 Beiträge

Hallo Wolfgang,

das mit dem Hinterflügeln war nur so eine spontane montanus-/parallelus-Idee - am Ende hat sie der alticola zb völlig reduziert, oder sie sind fast so lang wie die Vorderflügel. Aber das wäre wohl schon mal jemandem aufgefallen;-)

Von Toni selbst sind übrigens relativ viele Funde aus den Wölzer Tauern (2009), was mich als prinzipieller Anhänger Deiner Theorie doch etwas stutzig macht...

LG,
Günther


zuletzt bearbeitet 02.09.2013 09:52 | nach oben springen

#10

RE: Chorthippus alticola?

in Beobachtungen in Österreich 02.09.2013 11:26
von Thomas Z-K • 740 Beiträge

Die Sache mit dem alticola ist hoch spannend und natürlich dringend klärungsbedürftig. Und weil unsere "Verbreitungskarten" zitiert werden - ich muss gerade in diesem Fall betonen, dass wir bisher nur unpublizierte Arbeitskarten produzieren, die auf keinen Fall als letzter Stand der Dinge angesehen werden dürfen. Bei den "alticola"-Karten gehe ich mit Wolfgang konform, dass das ein Mix aus "echten" alticola/rammei sowie aus parallelus-Höhenformen darstellt (was leider auch für die Dachstein-Tiere gelten dürfte). Es hat jedoch noch keiner sein fachliches Gewicht in das Material geworfen und eine stichfeste Filterung durchgeführt. Das wäre ein lohnenswerter Winter-Workshop, den wir vielleicht einmal gemeinsam im nächsten Winter machen könnten. Bis dahin aber bitte alles dokumentieren und ruhig auch mit alticolas vorpreschen - je dichter das Material, desto leichter werden wir uns tun (auch wenn vielleicht letztendlich nur mehr die vom Obir bleiben sollten..).
Grüße
Thomas

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