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#1

Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 03.09.2011 19:33
von WSW • 1.034 Beiträge

Hallo!

Es hatte heute 30° und wo fährt man da am besten hin? Richtig, in die Berge. Somit ein wahrscheinlich letzter Bildreport von mir für diesen Sommer...

Spät, aber doch noch dieses Jahr kam ich nach Neuhaus am Zellerrain/NÖ. Dort gab es vor Jahren Tetrigiden an Forststraßen zu sehen. Also der 1. Platz erwies sich sehr trocken, keine Tetrix.

Ich bin dann weiter ins Höllerbachtal, habe hinten bei dem Sandbruch auf 1020m eine Weile gesucht und endlich eine einzige Tetrix gefunden:



Hier der Fundort am Straßenrand:



Und ich konte sie sogar fangen. Ich traute meinen Augen nicht:



Tetrix bipunctata s. str. - die stört jetzt aber ein bisserl das bisher gültige Weltbild . Leider konnte ich keine weitere mehr finden. Ich bin dann dort weiter zu meinem persönlichen Eierschwammerlplatz, hab gleich 3 Auerhühner aufgestöbert und auch Eierschwammerl gefunden (nicht so viel wie in einem normalen Jahr, aber mehr als erwartet) und bin dann wieder nach Neuhaus. Ein paar hundert Meter talauswärts von meinem Tetrix-FO konnte ich an Bach-Alluvionen, etwas gestört durch Bringungsfahrzeuge, auf 1006m 2 weitere Tetrix finden - es waren T. kraussi!





Wie man das erklären kann? Mir ist zumindest aufgefallen, dass es am 1. Ort sicherlich etwas feuchter und waldiger ist, die Tetrix war am FO unmittelbar mit Chorthippus montanus vergesellschaftet.

Hingegen fanden sich am 2. FO bei näherem Hinsehen zahlreiche heliophile Psophus stridulus. Auf der anderen Straßenseite tickten am Sonnenhang zudem noch 2 Warzenbeißer, ebenfalls heliophil. Soweit mein bescheidener Ansatz dazu....





Artenliste:
T. cantans
Ph. aptera
M. brachyptera
D. verrucivorus
T. bipunctata
T. kraussi
P. stridulus
Eu. brachyptera
G. rufus
Ch. montanus
Ch. parallelus
O. viridulus

Danach bin ich runter nach Langau gefahren. Dort bildet die Ois (= junge Ybbs) eine Wildflussstrecke. Hans Malicky sagt, dies sei eine Karstflussstrecke, da der Flusslauf im Sommer völlig verschwindet und unterirdisch weiterrinnt. Vor vielen Jahren habe ich dort schon nach Chorthippus pullus und Tetrix tuerki gesucht - ohne Erfolg, wie man weiß.

Nun rechnete ich mir mit besseren Suchroutinen bessere Chancen aus. Und das Habitat sieht ja auch gar nicht schlecht aus:



Am Ende reicht es aber knapp nicht. Ursachen dürften sein, dass 1. die Feinsedimentfraktion zu gering ist, d.h. es gibt zu wenige Feinsandstellen für beide Arten. Außerdem dürften die Wasserstandsschwankungen hier zu stark sein, wenn sich der Fluss füllt, beansprucht er dann große Teile des Betts.
Die passenden Bereiche besetzt punktgenau statt des pullus Chorthippus brunneus, der stellenweise häufig ist.



Tetrix tuerki kann ich noch immer nicht ganz ausschließen, da man bei dieser Hitze einfach gar keine Dornschrecken findet.

Letzter Stopp war in der Gegend des Grubbergs. Dort bei den südlichen Kiefernwäldern hatte ich mir einiges ausgerechnet. Es war aber wenig los.

Letztlich fand ich:
T. cantans
M. brachyptera
P. stridulus
Eu. brachyptera
G. rufus
Ch. biguttulus
Ch. parallelus

Immerhin war einiges an Herbstenzianen zu sehen, gut belegt mit Enzianbläulings-Eier:



VG Wolfgang

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#2

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 03.09.2011 20:46
von Günther • 2.345 Beiträge

Hi Wolfgang,

höchst interessanter Fund! Ich würde allerdings auch hier noch nicht von einer "Störung des bisher gültigen Weltbildes" sprechen;) Dass die beiden Formen geographisch nicht so hundertprozentig zu trennen sind, zeigt schon das Bild im Schweizer Atlas und auch in Salzburg, wo es viele Überschneidungen gibt. Ich würde den Fund so einstufen wie die kraussi im Westen Nordtirols, nur auf der anderen Seite. Also als einen weit vorgestoßenen Ausreißer. Doch das ist jetzt nur eine Vermutung.

Aber auf jeden Fall ist Dein Fund der bei weitem östlichste einer bipunctata s. str. und somit sehr wertvoll! Gratulation!!

LG,
Günther

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#3

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 04.09.2011 07:14
von WSW • 1.034 Beiträge

Okay, dazu noch mal mein Senf :
In Salzburg und auch Osttirol überlappen sich einfach die Areale, jeweils durch mehrere Fundpunkte belegt. In Nordtirol sind die wenigen kraussi-Fundpunkte jeweils durch das Inntal verbunden. Wenn man mal gesehen hat, wie auf der Serfauser Straße überall Seseli libanotis an den Böschungen wächst a la Wachau, dann überrascht das nicht.

Der Neuhauser Fund aber steht bislang völlig isoliert da. Vielleicht erstreckt sich ja ein übersehener Areal-Finger von Westen her in das Gebiet? Vermutlich diesbezüglich weniger durchsucht sind die Höhenlagen über 1000m in den oö. Alpen sowie im nö.-stmk. Grenzgebiet.

VG Wolfgang

PS: Fahre jetzt zu einer Führung beim Leckermoor/Göstling, vielleicht finde ich da ja noch eine Tetrix?

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#4

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 04.09.2011 10:33
von Günther • 2.345 Beiträge

Hi Wolfgang,

ich will Dir ja die Besonderheit Deines Fundes überhaupt nicht absprechen! Nur wenn man sich anschaut, wie wenige Unterartdeterminationen es im oö.-nö. Grenzgebiet incl. Ennstal gibt, dann ist es nicht allzu verwunderlich, dass sich dort auch irgendwo bipunctata s. str. aufhält. Aber bisher war das eben nicht klar, insofern kommt Deiner Entdeckung enorme Bedeutung zu - also auf in die "Nordost-Alpen"!

Laut Deiner Tal-Hypothese ist Dein Fund ja so völlig isoliert auch nicht - eine Verbindung (wenn auch bislang noch eine weite) zum nächsten bipunctata s. str. Fundort besteht über das Enns(und Salza-)-Tal. Aber durch Täler werden wohl so ziemlich alle österreichischen Fundpunkte irgendwie verbunden sein.

LG,
Günther

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#5

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 04.09.2011 19:25
von WSW • 1.034 Beiträge

Nein, Günther, so einfach ist das nicht.
Es können eben die Wärme-Viecher (genauso wie auch bestimmte Libellen- oder Pflanzenarten) z.B. übers warme Inntal weit ins gebirgige Tirol vordringen. Und damit kraussi ins bipunctata-Land.
Nicht jedoch können die kühlen Höhenformen über Täler vordringen, die müssen wohl über Gebirgszüge vorrücken. Und so wäre es möglich, dass bipunctata über den beschriebenen Weg weiter nach Osten kommt, als bisher zu sehen war (müsste mal nachsehen, wie weit du ihr dabei bislang gegeben hast, NÖ war jedenfalls nicht dabei).

Was ich aber natürlich unterschreibe, ist, dass dazu mehr im Gebirge geforscht werden müsste. Jedenfalls gelangt in die Dolomitschluchten der NO-Alpen bald keine Sonne mehr, die Jahrestemperatursumme ist dort sehr niedrig...

Heute übrigens nur eine montane Population von subulata an der Auffahrt nach Hochreith/Göstling bei 650m.

VG Wolfgang

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#6

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 04.09.2011 23:57
von Günther • 2.345 Beiträge

Hi Wolfgang!

Zitat von WSW
Nicht jedoch können die kühlen Höhenformen über Täler vordringen, die müssen wohl über Gebirgszüge vorrücken.


Da geb ich Dir natürlich prinzipiell recht. Die Sache ist nur die, dass bipunctata s. str. und kraussi nicht definitiv und überall als "kühle Höhenform" (bipunctata) bzw. wärmeliebend (kraussi) bezeichnet werden können, wie es vielleicht bei anderen nahe miteinander verwandten Organismen der Fall ist. Man liest zB, dass kraussi TENDENZIELL wärmere und trockenere Gebiete bewohnt. Da gibt´s lediglich einen Trend (der sich ja auch in der europäischen Gesamtverbreitung widerspiegelt), aber in der Überschneidungszone ist diese Trennung nicht so eindeutig zu vollziehen. Das zeigen zB syntope Vorkommen beider Formen oder die kraussi aus Arbesbach von Werner, die sowohl ihn als auch Dich gewundert hat, weil ihr dort eher bipunctata s. str. erwartet hättet.
Ich würde also auch bipunctata s. str. durchaus zutrauen, dass sie sich entlang der Täler ausbreitet. Eben weil diese Trennung in Mitteleuropa anscheinend nicht so eindeutig ist (Dein bipunctata s. str.-Lebensraum zB zeigt einen sehr trockenen Lebensraum (da wundert´s mich etwas, dass Ch. montanus unterwegs war? Aber vielleicht täuscht das Bild). Kraussi haben wir im Gesäuse auch an feuchten Forstwegrändern gefunden).
Meine momentane Hypothese ist: Deine bipunctata s. str. ist eine der östlichsten im Alpenraum, von der wir je hören werden. Das ist aber wie gesagt nur eine Hypothese und wird vielleicht bald widerlegt (woher kommen zB die bipunctata s. str.s im Südburgenland??? Die sind mir (und ja auch Dir) wirklich ein Rätsel!!).

Unterm Strich wiedermal, und da pflichte ich Dir ohne Umschweife bei: Wir brauchen mehr Daten! Diese Thematik ist mE momentan wohl die spannendste orthopterologische (neben den Miramellas), die es in Ö zu klären gilt!

LG,
Günther


zuletzt bearbeitet 05.09.2011 01:37 | nach oben springen

#7

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 08.09.2011 16:53
von WSW • 1.034 Beiträge

Sieht zwar nach dolomitisch trockenem Wegrand aus, aber gleich dahinter fällt die Straße zu einem Bachufer ab und in diesem Bereich ist das Dolomittal zu einer Sumpfwiese verbreitert, die voller Ch. montanus ist.

Im Prinzip kratzen wir zwar schon noch ziemlich an der Oberfläche, aber die bisherigen Bestimmungen deuten doch bereits recht auffällig die Verbreitungsmodi der beiden Formen an. Für Überraschungen bleibt aber, wie man sieht, weiterhin genügend Platz .

VG Wolfgang

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#8

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 27.01.2012 16:42
von Günther • 2.345 Beiträge

Grüß Euch,

habe diesen spannenden bipunctata-Fund von Wolfgang nochmal ausgegraben, weil es dazu Neuigkeiten gibt. Letzte Woche haben wir in der Sammlung des NHM eine Dornschrecke aus dem Jahr 1969 gefunden, die mit "Tetrix tenuicornis" beschriftet war. Tatsächlich aber handelt es sich dabei um Tetrix bipunctata bipunctata. Der Fundort ist angegeben mit "Göstling Hochmoor Hochtal". Dieser Ort liegt Luftlinie etwa 16 km westlich von Wolfgangs und ist somit ein zweiter bipunctata s. str. - Fundort für Niederösterreich.

LG,
Günther

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#9

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 28.01.2012 07:06
von WSW • 1.034 Beiträge

Mist, bisher waren alle nö. Nachweise "in meiner Hand"...
Es gibt ja da schon noch ein paar mehr im südwestlichen Waldviertel. Der FO beim Leckermoor in Hochreith/Göstling ist mir übrigens bestens bekannt - zuletzt habe ich Ende August dort eine Führung gehabt und habe versucht, den Teilnehmern auch eine Tetrix zu zeigen - ohne Erfolg, wohl jahreszeitlich bedingt.

Tatsache ist jedenfalls, dass dieser FO sich, so wie auch alle anderen mir bekannten von T. b. bipunctata, in einer lokal- bis mikroklimatischen Extremlage befindet. Das Hochtal des Moores liegt in einem geschlossenen Talkessel, der extreme Temperaturschwankungen ermöglicht. Auch die Fundorte bei Neuhaus liegen in winterkalten Senken und Gräben in Gebieten und Höhenlagen, die ohnehin schon klimatisch benachteiligt sind.
Um Arbesbach herzunehmen - liegt zwar in einem kühlen Klimagebiet des Waldviertels, aber in einer offeneren Lage, wo es sicher auch thermisch begünstigte Bereiche gibt. Es wäre sicher interessant, sich jeweils das Mikroklima der Fundorte genauer anzusehen. Wie das dann mit dem Südburgenland zu erklären ist, kann ich nicht sagen. Das ist nicht meine Baustelle, da komme ich nie hin . Es wird aber auch irgendeinen Grund haben.

VG Wolfgang

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#10

RE: Spannende Tetrix in den nö. Alpen

in Beobachtungen in Österreich 09.06.2012 12:56
von WSW • 1.034 Beiträge

Hallo!

Mir ist es gelungen, diesen alten Faden wieder auszugraben. Bezüglich dieses Themas gibt es nun wieder aktuelle Neuigkeiten. Ich konnte 2 Tage forschend im IUCN-Wildnisgebiet am Dürrenstein verbringen - ein Privileg, das ich persönlich sehr hoch einschätze - und dabei eine Menge toller Naturerfahrungen machen.

Ein kleines Detail dazu war der hochgelegene Fund einiger Tetrix-Individuen. Wir hatten uns am 2. Tag weglos durch exemplarischen Weißrückenspechtwald auf einen schneidigen Felsgrat hochgearbeitet. Dort suchten und fanden wir auf der steilen Südseite 4 Raupen und 1 Puppe des in NÖ sehr seltenen "Veilchen-Scheckenfalters" Euphydryas cynthia, der sich dort aber von Glänzender Skabiose und Herzblättriger Kugelblume ernährt.

Genau dort oben sprangen aber auch zumindest 3 Vertreter aus dem T. bibunctata-Komplex herum, wobei ich die ersten beiden nur fotografieren, den 3. aber fangen konnte. Auch hier auf 1300msm sind es offensichtlich T. kraussi! Bisher hat meine Theorie also gehalten, an Wärmestellen, sei es auch noch so hoch wie an diesem heißen Felshang, lebt kraussi, und der einzige bipunctata-Fund in der Hundsau glückte mir an der tiefsten Stelle in der Dolomitschlucht, wohin die Kaltluft abfließt und wo z.B. das alpine Viech Colostygia austriacaria lebt.

Hier einmal der fundgewaltige GRO im Tetrix-Habitat:



Und die beiden geknipsten Tetrix, die sicherlich auch kraussi sind, wieder mit dieser phantastischen Farbanpassung beim 2. Tier:





Dort oben flog übrigens auch dieser hübsche kleine tagaktive Spanner Psodos quadrifaria, der in den Alpen weit verbreitet ist, in NÖ sind aber nur 3 Funde nach 1980 verzeichnet nach Denisia 28.



Das eigentliche Objekt der Begierde: cynthia-Raupe, fressend an Kugelblume:



Und die Puppe, extrem schwer zu finden:



Und ein paar weitere Impressionen aus diesen beiden Tagen wildlife...

Dreizehenspecht-Männchen räumt gerade den Mist der Jungen weg:



Mutiger Turmfalke:



Ein sehr schönes Kreuzotternmännchen, auf das ich beim Höherarbeiten im Kampfwald fast gestiegen wäre:



Schuttstrom unter den Wänden des Dürrensteins, Heimat der "Felsennarzissen", des Apollofalters (1 Raupe war noch zu finden), etc....



Narzissen:



Dort oben fand ich beim Raupensuchen auch dieses Tier, von dem ich gerne wüsste was es ist...



Ja und zuletzt noch eines von gut 30 Eiern des Kult-Tagfalters Lycaena helle (Blauschillernder Feuerfalter), Anhang II+IV-Art. Vor 12 Jahren habe ich ein herrenloses Weibchen gefangen, in den letzten Tagen aber 30 Eier und 1 abgeflogenes Männchen gefunden!



VG Wolfgang

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